Liebe Schwestern und Brüder! |
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Stärke, Durchsetzungsvermögen sind heutzutage gefragt, nicht nur im Berufsleben. Wer schwach ist, kommt leicht unter die Räder. Schwäche darf man
nicht zeigen. Denn Schwachheit hat zu tun mit arm und klein, krank, beschränkt.
Und mit Gott. Ja, Gott hat mit Schwäche zu tun. Manche folgern daraus, das Christentum sei eine Religion für die Kleinen und Schwachen. |
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Das stimmt, aber Gott
belässt es nicht bei der menschlichen Schwachheit. Das jedenfalls sagen uns die
Texte des heutigen Wortgottesdienstes. Doch Gott ersetzt nicht einfach Schwäche
durch Stärke. Er schreibt mit den Menschen keine Siegergeschichten. Trotzdem
nimmt er sich unserer menschlichen Schwachheit an und hilft ihr auf. |
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Schauen wir
uns zuerst die Lesung an. Die Schwäche des Paulus ist ganz konkret, ist ihm
wie ein Stachel im Fleisch, sagt er. Eigentlich ist er erfolgreich und wichtig. Paulus
ist unterwegs in Kleinasien und Europa, zu Fuß, per Schiff, viele hundert Kilometer
auf seinen Missionsreisen. Zäh und konkret ringt er um eine christliche Lebensgestalt für seine Gemeinden in Thessaloniki und Korinth. Genial argumentiert er im
Gespräch mit jüdischen und griechischen Denkern seiner Zeit und entwickelt aus
der Jesus-Botschaft ein überzeugendes theologisches Gebäude. So gewinnt er –
wie kein anderer – Menschen für Christus. Ein erfolgreicher Kirchenmann, angetrieben von Gottesbegegnungen, Erscheinungen und Offenbarungen. |
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Eigentlich
also ist Paulus erfolgreich und wichtig. Aber er selbst empfindet sich als schwach,
denn „mir wurde ein Stachel ins Fleisch gestoßen“, sagt er. Was er damit wirklich
meint, ist nicht festzustellen. Manches spricht für eine schmerzhafte, chronische
Krankheit. Dieser Stachel könnte aber auch alles andere sein, was Menschen als
bösartige Schwächung ihrer Kraft verstehen: Depression, Angst, Scheitern, Begrenzungen, Verletzungen, Stottern, usw. Dreimal, sagt Paulus, hat er Jesus Christus gebeten, diese Schwachheit zu entfernen. |
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Der Herr antwortet auch, tut aber
nicht, was Paulus so sehr erbittet: „Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre
Kraft in der Schwachheit!“ Paulus hat sich sicher lange mit dieser Antwort auseinandergesetzt. Und er hat dabei gelernt, mit seinem Stachel und der Antwort zu
leben. |
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Wie hätte er sonst sagen können: „Ich will mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt.“ |
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Das heißt doch: Zur Sicherung
meines Lebens vertraue ich nicht auf meine Stärke, sondern auf Gottes Kraft. |
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Paulus hat durch seinen Stachel im Fleisch gelernt: Wo ich am Ende meiner Kraft
bin, meine Schwachheit eingestehen muss, nichts mehr von mir erwarten kann, da
kommt Gott mir zur Hilfe. Er nimmt nicht den Stachel meiner Schwäche, sondern
erfüllt mich mit Kraft – um mit dem Stachel zu leben. Diese Haltung hat sich in Jesus Christus als stark und wirksam bis in den Tod erwiesen. Am Ende kann Paulus
sagen: Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark. Gottes Kraft nimmt sich meiner Schwachheit an.
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Liebe Schwestern und Brüder! |
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Schauen wir auf das Evangelium: Die Menschen aus Nazaret begegnen Gottes
Kraft in Person. Jesus kommt. An anderen Orten hat er bewiesen, dass er den
Schwachen aufhelfen kann. Kurz vor unserer Perikope *) lässt er die unreinen Geister der Besessenen von Gerasa in die Schweine fahren; dann erweckt er die
Tochter des Jairus vom Tod. Mächtige Zeichen! |
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Und jetzt kommt er in seine Stadt,
nach Nazaret. Und tatsächlich bringt seine Weisheit in der Synagoge die Menschen zum Staunen. Doch zugleich melden sich ihre Zweifel: Woher hat er das? Den
kennen wir doch – seine Familie, seine Herkunft, sein Handwerk. Das ist doch
einer von uns. Haben wir das nötig, uns von ihm etwas sagen zu lassen? „Und sie
nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab!“ |
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Der Inhalt seiner Predigt ist für die
Menschen von Nazaret gar nicht mehr wichtig. Sie legen Jesus, sie legen Gottes
Kraft fest auf ihre eigene Beschränktheit – auf ihr Dorf, auf ihre Kategorien, auf ihre
eigenen Schwächen. |
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Deshalb finden sie keine angemessene Antwort auf ihre erste Frage: Woher hat er das alles? Dass seine Kraft in Wirklichkeit die Kraft Gottes ist und eben nicht die Kraft des Zimmermanns, des Sohns der Maria, das geht nicht in ihren Kopf. Deshalb erwarten sie auch nichts von ihm, auch nicht, wie Paulus, Kraft für ihre eigene Schwachheit. Und schon gar nicht, dass Jesus von Nazaret der Messias ist. |
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Wo Menschen nichts von Gott erwarten, nicht offen sind dafür, dass er ihnen hilft, den Stachel im Fleisch zu ertragen, da kann Gottes Kraft
nichts anfangen. Und Jesus konnte dort keine Wunder tun. Nur einige wenige
Kranke heilte er. |
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Gott ist machtlos, wenn wir nichts von ihm erwarten und uns
zurückziehen auf unsere eigene Schwäche. Und selbst Jesus wundert sich und
muss feststellen: Unglaube, das ist: Gott keine Kraft zuzutrauen. Schwachheit und
Kraft: was hat das mit uns zu tun, hier und jetzt? Das II. Vatikanum hat festgehalten: „Jesus
Christus ist gegenwärtig mit seiner Kraft in den Sakramenten und in seinem Wort,
da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden.“ Er
ist auch noch bei vielen anderen Gelegenheiten gegenwärtig: in der Begegnung
mit den Armen; aber eben auch hier, in der Liturgie, in der Verkündigung. Uns geht
es also jetzt, in diesem Augenblick, nicht anders als Paulus bzw. den Frauen und
Männern in Nazaret. |
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Wir hören heute von Gottes Kraft, die auf Menschen trifft – in
all ihrer Kleinheit, Armut, Krankheit, (spießigen) Beschränktheit. Gottes Kraft will
sich dieser unserer Schwachheit annehmen. Wir können uns entscheiden, ob wir
unsere Schwachheit zulassen wollen und sie annehmen. Wir können aber auch
sagen: Ich erwarte nichts davon, das lehne ich ab, das glaube ich nicht. |
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Dann – da
können sie sicher sein – wird ihnen gar nichts passieren. Wir werden aber auch nie
die beglückende Erfahrung des Paulus machen: Wenn ich schwach bin, dann bin
ich stark. |
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